OPEN HOUSE

Architektur à discrétion

Wir haben eine schreckliche Feststellung gemacht: Wir werden zu Diven. Wir kriegten eine Anfrage, ob wir nicht über eine bevorstehende Veranstaltung schreiben würden. Wir logen, die Veranstaltung nicht zu kennen und deshalb nicht darüber schreiben zu können – es sei denn, sie organisieren uns eine Preview. Statt uns in die Schranken zu weisen und zurückzuschreiben, «Macht euch auf unserer Website schlau, ihr kleinen megalomanen Blogger», was die angemessene Antwort gewesen wäre, schrieben sie: «Sagt uns wann es euch passt und was ihr sehen möchtet, und wir chauffieren euch durch Zürich».

Der Verein Open House öffnet für ein Wochenende über hundert Wohnungen, Villen und Schulhäuser dem Publikum – gratis. Unter Architekten sind solche Besuche die Norm: Wann immer ein Büro einen Bau fertigstellt, lädt es andere Architekten zur Besichtigung ein. Der Gastgeber preist sein neustes Objekt, während die Konkurrenten nach all den kleinen Mäkeln und Fehlern suchen, die ihnen wohl genauso unterlaufen wären. Open House ist die demokratische Version: Architekten, Denkmalschützer und Bewohner erklären Laien architektonische Details zu Gebäuden von Grössen wie Marcel Breuer, Hans Hofmann oder Christ & Gantenbein. Auf der Besucherseite gibt es eine Heerschar von Leuten, die anderen in ihre vier Wände spähen möchten: 10’000 waren letztes Jahr dabei.

Auf unserer Privattour stoppen wir an zwei Bauten, die kaum unterschiedlicher sein könnten. Beim einen ist die Fassade alles, was das Gebäude ausmacht, beim andern ist sie unscheinbar. Ballet mécanique, ein Experimentalbau in einem verwilderten Villengarten einer Kunstmäzenin, ist eine Betonbox mit metallener Verschalung. Praktische Überlegungen scheinen zweitrangig, was zählt, sind die rot-blauen Klappläden an der Aussenfassade, die sich wie Briefcouverts öffnen lassen. Das zweite Gebäude ist das Tamedia-Sitz an der Sihl, gebaut von Pritzker-Preisträger Shigeru Ban. Ban ist bekannt für Architektur, bei der nichts verschwendet wird. Altes Zeitungspapier wird für Trennwände benutzt, die ineinandergreifende Holzstruktur kommt ohne eine einzige Schraube aus, und vom Material bis zum Lichteinfall ist alles sorgfältig durchdacht. Von aussen hingegen sieht man dem Gebäude die Raffinesse nicht an – beim Vorbeifahren erinnert wenig an den Wurf eines Stararchitekten.

Wir beenden unsere Tour auf der Terrasse eines Aluminium-Verwaltungsgebäudes an der Feldeggstrasse, mit Blick auf See und Sonntagsspaziergänger. Nach drei Stunden sind wir erschlagen von Eindrücken und Informationen. Der richtige Open House-Effekt kommt aber erst in der Woche darauf, als wir erneut am Tamedia-Hauptsitz vorbeifahren: Es ist nicht mehr nur ein gesichtsloses Gebäude, sondern eines, dass wir bis in die kleinen Einzelheiten kennen. Unsere Liste für das kommende Wochenende haben wir bereits: Das Schoch-Wohnhaus, der Sechseläutenplatz und die Martin-Luther-Kirche warten. Vielleicht machen wir sogar bei Rolf Hiltl an der Langstrasse einen Hausbesuch. Dann allerdings ohne Chauffeur.

OPEN HOUSE, 29. bis 30. September 2018

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