REC REC SHOP

Lied im Ohr

Anfangs liebten wir Spotify. Die Streaming-App erschien uns wie ein neues Universum voller Künstler, von deren Existenz wir bis anhin keinen Schimmer hatten. CDs wurden durch Playlists ersetzt, die Musikanlage landete auf dem Estrich. Wir liessen uns von Songs berieseln, die nach einmaligem Hören wieder verschwanden und dachten, unser Horizont erweitere sich ständig. Das Gefühl änderte sich, als man uns nach unserem Lieblingskünstler fragte und wir das Handy zücken mussten. Wir kannten keinen einzigen Namen.

Einer, der von solchen Algorithmen wenig hält, ist Veit Stauffer. Vor dreissig Jahren gründete er mit Freunden unter dem Namen Rec Rec einen Laden und ein Musiklabel, das alternative Künstler unter Vertrag hatte und jahrelang ein Erfolg war. Heute ist das Label tot, die Musikindustrie kämpft gegen ihr Ende, die Freunde haben sich aus dem Geschäft verabschiedet. Stauffer und den Laden gibt es immer noch.

Auf den ersten Blick wirkt sein Geschäft wie die letzte Bastion der alten Welt: Die Schaufenster sind mit Plattencovers behängt, die Wände mit alten Postern überklebt und mit neuem Vinyl zugestellt. Das Sortiment umfasst 6'000 Platten und 9'000 CDs, von Pop bis Avantgarde, Jazz, Moderne Klassik, Minimal, World Music und Electronica. Gekauft werden sie von Feuilletonisten, Vinyl-Sammlern und Corine Mauch. Stauffer selbst ist ein kauziger Typ Ende fünfzig, mit wirrem Haar und wachen Augen. Unter seinen Kunden gilt er als Enzyklopädie und Musikfan der exzessiven Sorte. Vor Jahren vergrub er ein Album seines Lieblingskünstlers Tim Buckley im Garten, in der Hoffnung, seine Obsession damit in den Griff zu kriegen.

Als wir ihm von unserer Spotify-Erkenntnis erzählen, hört er zu und wandert dabei beiläufig durch den Laden. Kurz darauf drückt er uns einen Stapel CDs in die Hand. Die erste ist vom Londoner Ghostpoet, der Rap in Melancholie taucht und dessen Stimme sich wie ein schwerer Mantel über unseren Körper legt. Wir hören das ganze Album, die Songtexte in der Hand. Als wir damit durch sind, kommt das nächste dran: Voodoo Jürgens, Deutschpop auf Österreichisch, schräg, dunkel, pointiert.

Spotify schlägt dir Lieder vor, die ein Echo der vorangegangenen sind. Veit Stauffer eröffnet dir eine Welt, von der du nicht mal gewusst hast, dass du sie suchst. Er hat die Qualität eines Kurators, der deine Aufmerksamkeit auf Werke lenkt, an denen du sonst vorbei gegangen wärst. Als wir seinen Laden nach zwei Stunden verlassen, haben wir vier CDs von Künstlern in der Tasche, deren Namen wir zuvor noch nie gehört haben. Wir rufen unseren Vater an. Er soll die Anlage vom Dachstock holen.

REC REC SHOP, Rotwandstrasse 64, 8004 Zürich
Di bis Fr 11 – 19; Sa 11– 16

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