HILTL

Das Geheimnis der Vegetarier

Hiltl hat ein Geheimnis. Es wird nicht aktiv gehütet, trotzdem wissen die wenigsten davon. Jeder, dem wir das kleine Smalltalk-Nugget weiterreichen, reagiert mit geweiteten Augen und einem «Wie bitte was?!»-Blick. Hier ist es: Hiltl ist nicht bio.

Zugegeben: Hiltl hat nie behauptet, bio zu sein. Oder zumindest nicht vollständig. Hiltl ist manchmal bio – zum Beispiel bei tierischen Produkten wie Eier oder Milch. Ab und zu liegt auch ein Biogemüse unter der Wärmelampe. Aber eben nicht oft genug, um es auf die Deklarationstabelle zu schaffen. Wir kennen kein Zürcher Restaurant, das von der Vorspeise bis zum Absacker vollumfänglich bio serviert. Und würde ein Anderer den Obdachlosen Essen schenken, würden wir ihm gratulieren.

Aber nicht Rolf Hiltl. Seit der Vegi-Papst vergangene Woche einen Ableger an der Langstrasse eröffnete und im gleichen Haus seine Residenz bezog, fühlen sich alle ermächtigt, ihren Gentrifizierungsfrust an seiner Theke zu entladen. Andere verkaufen pampige Mitternachtssnacks oder Cocktails für 20 Franken, und niemanden stört's. Rolf Hiltl engagiert sich gegen Foodwaste und für die Velofahrer, und trotzdem mag ihn keiner. Der Fehler liegt nicht bei ihm. Der Fehler liegt bei uns.

Wir haben uns in unseren Köpfen zurechtgelegt, Vegetarier seien die besseren Menschen. Gutmütige Weltverbesserer, die sich ihre eigenen Pullover stricken, den Arbeitslosen die Surprise abkaufen und es märtyrerhaft hinnehmen, dass sie seit Jahrzehnten auf dem kulinarischen Abstellgleis stehen.

Hiltl gab ihnen als Erster ein ein Zuhause, und alle nahmen an, dass die Vegis biologische Zutaten einfordern würden. Jetzt stellt sich heraus: Diese Annahme war falsch. Vegetarier sind auch nur Menschen. Auch sie sind nicht perfekt. Auch sie gehören zu den hungrigen Mäulern der Gentrifizierung.

HILTL LANGSTRASSE, Langstrasse 84, 8004 Zürich
Mo bis Mi 7 – 24, Do 7 – 2, Fr 7 – 8, Sa 9 – 8, So 9 – 23

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