STADTLEBEN

Ausgeknipst

Wir sind offline. Instagram hat uns zu langweiligen Menschen gemacht. Das war nicht immer so. Vor fünf Jahren scrollten wir durch Fotos aus New York oder Manila und entdeckten mit jedem Account neue Welten. Dann kamen die Werbung, die Influencer, das Geld. Die Bildsprache glich sich an, die Posen waren von Uri bis Hong Kong dieselben. Bekannte machten Schmollmünder und fotografierten sich in Kleidern, die wir noch nie an ihnen gesehen hatten.

Das eigentliche Problem aber war ein anderes. Unsere Welt wurde immer kleiner. Plötzlich kannten wir das Wohnzimmer unseres Barkeepers. Wir wussten, wer mit wem abhängt, wer jetzt wieder single ist, dass der Schwarm unserer Freundin einen fürchterlichen Geschmack hat, und dass das Girl aus dem Bus ein Problem mit ihrer Oberlippe haben muss. Wir hatten zu Leuten eine Meinung, die wir nicht mal kannten, und waren mit Fragen konfrontiert, die keiner stellen will: Wie begrüsst man jemanden, dem man seit Monaten folgt? Kann man einen Freund fragen, warum er lange nichts mehr geliked hat? Darf man Selfies kritisieren?

Zuerst war das Löschen unseres privaten Profils ein Härtetest. Unser halbes Leben war auf der Plattform gespeichert, oder so fühlten sich die 1'250 Fotos zumindest an. Die ersten Tage waren hart. Wir fühlten uns uninformiert und irrelevant. Uns war ständig langweilig. Wir griffen nach dem Aufwachen zum Handy, beim Zähneputzen, im Bus, in der Pause, auf dem WC, vor dem Einschlafen. Lange litten wir nicht. Eine Woche später nahmen wir das Handy kaum mehr aus der Tasche, nach zwei fragten wir uns, wie wir uns und irgendwelche Oberlippen so wichtig nehmen konnten.

Als wir unseren Freunden vom virtuellen Tod erzählten, hatte es ein Grossteil von ihnen noch nicht mal bemerkt. Die anderen zeigten sich erleichtert darüber, dass wir sie nicht blockiert hatten. Dann kamen die Fragen: Was, wenn euch die Leute vergessen? Was, wenn ihr keine Jobs mehr kriegt? Bis jetzt kennen uns noch alle. Und Jobs haben wir mit unserem Lächeln noch nie gekriegt. Unser Problem ist ein ganz anderes: Was machen wir mit all der freien Zeit?

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