CHEZ CRETTOL

Geschmolzener Kantonalstolz

Als unser Walliser Freund herausfand, dass für das Raclette auf seinem Teller nicht rohe, sondern pasteurisierte Milch verwendet wurde, gab es kein Halten mehr – er donnerte mit feuerrotem Kopf und einer Tirade Schimpfwörter auf den Mann hinter dem Käse los. Sie mussten ihn zu dritt an den Tisch zurückziehen.

Walliser spassen nicht mit Raclette. Das Gericht ist ihr kantonaler Stolz, ein blinder Fleck mit null Verständnis für Humor oder Raum für Interpretation. Es ist erniedrigend genug, dass ihnen das Copyright für den Raclette-Käse durch die Lappen ging – wenn du auch noch eine Scheibe von minderwertigem Käse vor ihrem Gesicht baumeln lässt, brennen alle Sicherungen durch. Kommt die Milch nicht von einer Eringer Kampfkuh, ist der Käse des «Raclette»-Titels nicht würdig. Und wird der Käse nicht direkt vom Laib gestrichen, ist es nur «Raclonette».

In diesem Sinne ist unser Besuch im Chez Crettol vielversprechend; der Walliser hat das Restaurant in Küsnacht gutgeheissen. Mehr als das, er hat uns zur Wahl gratuliert – es sei der einzige Ort nördlich des Aletschgletschers, an dem ein Walliser Raclette essen könne. Es war niedlich, die hellen Augen, die aufgeblähte Brust und der väterliche Stolz über ein Restaurant, mit dessen Wirtin er nichts teilt ausser dem Heimatkanton. Dass wir für Fondue ins Crettol gehen, haben wir ihm verschwiegen.

Fondue ist neben Raclette das zweite Markenzeichen des Crettol, und wenn wir pingelig sein wollen, ist es das einzige: Raclette ist die rustikale Ableitung des Fondue piémontaise, bei dem der Käse über Croûtons gegossen wird, und damit technisch gesehen in der Fondue-Kategorie. Natürlich würde dir das kein Walliser je sagen.

Das Lokal ist ländlich eingerichtet, mit viel Holz, Walliser Memorabilien und Kunst an der Wand, die wir lieber nicht im eigenen Wohnzimmer haben möchten. Es mag nichts Einsameres geben, als alleine Fondue zu essen, aber hier wär's möglich: Der Käse wird portioniert serviert, jeder kann seine eigene Mischung auswählen. Wir bestellen die Hausmischung, Moitié-Moitié und das Fondue Aux Herbes. Das Champagner-Fondue ist uns etwas de trop, dafür nehmen wir einen Salat zur Vorspeise – die Salatsauce ist ein weiterer Grund, weshalb die Gäste hierhin zurückkehren.

Bis jetzt hatten wir keinen Grund, in Zürich auswärts Fondue zu essen. Die Stuben im Niederdorf haben «Touristenfalle» auf die Fassade gestempelt, unsere ausländischen Freunde finden das Gericht irritierend und eindimensional, ausserdem können wir den Käse problemlos im eigenen Caquelon schmelzen. Aber das Crettol kann mehr, als wir zu Hause hinkriegen: Die Käsemasse ist schön sämig, das Aux Herbes schmeckt wie flüssiges Knoblauchbrot, und wir spüren den Klumpen im Magen kaum. Die Walliser haben zwar kein Copyright, aber sie haben einen Punkt: Käse ist nicht einfach Käse.

CHEZ CRETTOL, Florastrasse 22, 8700 Küsnacht
Di bis So 17.30 – 24 Uhr; Portion ab 32 Franken

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