KARAOKE 4 YOU

Mutprobe mit Mikrofon

Oberflächlich betrachtet klingt es immer toll, die Idee, Populäres aus Japan zu importieren: Tamagotchis, Kimonos, J-Pop, Sushi. Wenn es bei ihnen klappt, weshalb nicht auch hier? So anders sind wir ja nicht? Offenbar sind wir anders genug. Wer ein Haustier hat, braucht kein Tamagotchi, und wer einmal Sushi in Japan hatte, wird nie wieder ins Yooji's gehen. Karaoke ist genau gleich. Die Idee finden alle gut, aber zum Singen vor Publikum braucht’s mehr Mut, als die meisten von uns haben.

Und so sitzen wir erstmal still, als uns ein Freund zur Geburtstagsfeier in einen Karaoke-Schuppen einlädt. Doch es dauert keine Minute, bis das erste Mariah Carey-Gif in den Whatsapp-Chat surrt, gefolgt von Spongebob-Memes und euphorischen Zusagen. Wir fragen uns, mit welchem Lied wir uns am wenigsten blamieren. Jemand empfiehlt uns die Beatles, wegen der einfachen Stimmlage und den kurzen Strophen.

Das Karaoke 4 You liegt hundert Meter vom Helvetiaplatz. Wer es nicht bewusst ansteuert, übersieht es leicht. Abgesehen von uns hängen nur ein paar Thais am Tresen, die uns unbeeindruckt mustern. An der hinteren Wand ist die Brooklyn Bridge aufgemalt, auf den Tischen stehen Rosen. Kaum haben wir die Jacke ausgezogen, müssen wir unseren Wunschsong auf einen Zettel schreiben und dem MC übergeben. Das Geburtstagskind steigt als Erster auf die Bühne. Schon nach der ersten Strophe sind wir beeindruckt und leicht aggressiv. Kein Wunder, hat er uns in diesen Schuppen gelockt. Der Typ trifft jeden Ton.

Er verlässt unter Applaus die Bühne, der MC schiebt das aktive Youtube-Fenster aus dem Screen und zerrt ein neues auf den Schirm: Dean Martin, That’s Amore. Ein kleiner Typ mit Glatze steigt auf die Bühne und startet durch: Die Stimme laut, die Töne sicher, die Gesten wild. Ein Italiener krallt sich das zweite Mikrofon, stellt sich daneben und stimmt ein. Es folgt die ganze Singstar-Typologie: Die Frau, die sich für die zweite Adele hält, aber keinen Ton trifft. Der Schüchterne, der vor Scham fast im Boden versinkt. Der Streber, der eine lupenreine Version von Sinatras «My Way» hinlegt. Kids in weiten Sweatern, die es mit Mimiks probieren und ihn bereits nach dem ersten Vers verlieren. Der Italiener ist bei jedem zweiten Song mit auf der Bühne.

Dann kommen wir dran. Wir quälen uns eine gefühlte Ewigkeit durch das «Laaa-laa-laa-la-la-la-laaa» von «Hey Jude», bis uns der MC abklemmt. Die Thais in der hinteren Ecke schauen uns stoisch an. Ein paar Gin Tonics später versuchen wir es nochmals mit Ed Sheeran, treffen aber weder Ton noch Tempo. Inzwischen ist es egal.

Am Morgen danach surrt der Whatsapp-Chat mit Videos, Danksagungen und lachenden Emojis. Der Italiener entschuldigt sich für sein rabiates Geschrei und die wilden Gesten. Wir schauen das Video unserer Performance. Und verlassen den Chat, so schnell wir können.

KARAOKE 4 YOU, Stauffacherstrasse 101, 8004 Zürich
Mo bis Do 11.30 – 24, Fr 11.30 – 4, Sa 15 – 4, So 15 – 24

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