TEEHÜSLI FALLÄTSCHE

Wanderlust

Wir können es nicht schönreden. Im Januar liegt nichts mehr drin. Das Konto ist seit Weihnachten überstrapaziert, die Erinnerung an die alkoholgetränkte Silvesternacht traumatisch frisch, und mit dem besinnungslosen Brunslischmaus ist es auch vorbei. Das Einzige, was wir uns noch leisten können, sind gute Vorsätze. Also tun wir, was wir in diesen Situationen immer tun: Wir laufen weg. Für einmal nicht weg von den Problemen. Sondern weg von der Stadt.

Noch vor ein paar Jahren haben wir beim Stichwort Familienausflug gejault. Doch seit einiger Zeit werden wir sonntags immer öfter mit Panoramaselfies von Bekannten beglückt, auf denen sie vor Bergketten posieren, mit Bildunterschriften wie #urbanescape, #sundaze, #nofilter. Und wir werden jedesmal neidisch. Möglich, dass die Psychologen richtig liegen und wir tatsächlich so werden wie unsere Eltern. Vielleicht werden wir auch einfach alt.

Jedenfalls verabreden wir uns an einem Sonntag auf dem Uetliberg. Beim Uto Kulm endet der Ausflug für die meisten, für uns fängt er erst an. Es geht eine steile Treppe hinab, durch den Wald und über Hügel. Vierzig Minuten später stehen wir vor dem Teehüsli, einer Knusperhütte mit roten Fensterläden. Vor uns liegen der Zürichsee, das Sihltal, die Alpen.

Seit der Gründung vor 120 Jahren scheint sich hier oben nichts geändert zu haben: Geheizt wird mit einem Holzofen, gekocht mit Wasser vom Brunnen, gepinkelt ins Plumpsklo am Steilhang. Die Luft ist schwer vom Feuer, das Wasser kondensiert an den Fensterscheiben, an der Wand hängen verblichene Abzüge der Fallätsche und die Mitgliederliste des Alpenklubs «Zur Steilen Wand». Beim Absitzen grüssen wir den ganzen Raum – und staunen über uns selber. Ein paar Kilometer von der Stadt entfernt, und wir sind umgänglicher als die Berner.

Wir sind beim zweiten Haustee, als drei Engländer in die Hütte treten. Der Tee wird runtergekippt, ein Gruss in die Runde geworfen, wir überlassen ihnen den Platz. Wir haben genug – nach dem zweistündigen Aufenthalt im einfachen Leben sind wir entspannter als nach fünf Stunden Zeitunglesen auf der Couch. Auf dem Rückweg stellen wir uns vor die Bergkette und fotografieren uns selber. #nofilter

TEEHÜSLI FALLÄTSCHE, 8041 Zürich
Sonntags geöffnet, 10 – 16 Uhr

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