CO CHIN CHIN

Seefeld-Imperialismus

Co Chin Chin ist der französische Kolonialname Vietnams. Und gleichzeitig der Name des Zürcher Restaurants an der Gasometerstrasse, das sich selber zum «Vietnam des Kreis 5» gekürt hat. Auf dem Papier mag das stimmen. Aber wenn du hier reinkommst, fühlst du dich weder nach Südostasien versetzt, noch hast du das Gefühl, dich an einen Tisch im Kreis 5 zu setzen. Die Marmortheke, der Kronleuchter, die Vase mit den frischen Blumen: Alles ist sorgfältig konzipiert, niedrige Plastikstühle und Dampfwolken aus der Küche scheinen wegretouchiert. Nicht mal Obama isst sein Bun Cha in einem derart stilisierten Etablissement. Das Seefeld hat sich an der Gasometerstrasse seine eigene Kolonie aufgebaut.

Das Co Chin Chin eröffnete Ende des letzten Jahres mit jener demografischen Subgruppe am Tisch, die sich bisher im Lily's auf die Bank reihte. Von da wurde der Vietnamese schnell zum Stadtzürcher Place To Be; Dieter Meier hatte am Abend unseres Besuchs am Tisch nebenan diner en famille. Parallel zur emporschnellenden Wartezeit auf der Reservationsliste stieg auch das Einkommensprofil des Publikums: Inzwischen tragen die Damen im Lokal Hermès-Taschen zur Schau, die teurer sind als ein durchschnittlicher vietnamesischer Jahreslohn. Das Tischgespräch neben uns drehte sich um PowerPoint Slides, Steuerfüsse, Verlobungsringe und den letzten Einkauf im Fidelio. Essende Vietnamesen haben wir keine gesehen.

Kolonie hin oder her – das Essen im Co Chin Chin ist verdammt gut. Wenn du noch nicht da warst, solltest du bei der nächsten Chance auf einen freien Tisch hingehen. Wenn du nicht zu früh satt werden, sondern viel probieren möchtest: Geh mit einer grossen Gruppe von Freunden und bestell einfach die gesamte Vorspeisenliste (245 SFr.). Macht sich auch gut auf Instagram. Häng aber ein #throwback in die Caption – das Zeitfenster fürs subversive Geheimtipp-Prahlen ist längst geschlossen.

CO CHIN CHIN, Gasometerstrasse 7, 8005 Zürich
Di bis Fr 11 – 14.30; 18 – 23, Sa 10 – 24, So 10 – 21

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