LUNCHKINO

Ohne Glanz und Gloria

Vorpremieren sind nichts für Filmliebhaber. Das zeigt sich jedes Jahr beim Zurich Film Festival, wenn alle übers Schaulaufen auf dem grünen Teppich und Vujos Sprüche an der Aftershowparty reden, aber keiner über den gezeigten Film. Ausserdem steht dessen Qualität oft im umgekehrten Verhältnis zum Spektakel drumherum – je lauter im Vorfeld getrommelt wird, desto stumpfer der Plot auf der Leinwand. Die interessanten Streifen feiern nicht an einer Gala Premiere, sondern in einer Mittagsvorstellung.

Seit 1996 zeigt das Kino Le Paris beim Stadelhofen jeweils eine Woche lang einen neuen Studiofilm über Mittag, bevor er offiziell in den Kinos anläuft – eigentlich eine Filmpremiere pro Woche, aber ohne Glanz und ohne Gloria. Die Institution wird gerne als Mittagstisch für die Alten belächelt – doch die hatten 12 Years a Slave oder The Artist bereits gesehen, bevor wir im Feuilleton darüber lasen. Dass ausschliesslich Arthouse-Filme gezeigt werden, ist Teil vom Deal: Die Verleiher und Kinobetreiber hoffen auf Mundpropaganda von Echo der Zeit-Hörern und Carte Blanche-Besitzern. Im Gegenzug zeigen sie Independent-Streifen vor ihrem eigentlichen Startdatum. Manche Filme sind anspruchsvoll und grossartig, andere nur anstrengend.

Es ist ein kalter Mittwochmittag, als wir uns in die Schlange vor dem Ticketschalter einreihen. Wir sind nicht die Einzigen, die Harry Dean Stanton als 90-jährigen Cowboy im Film Lucky sehen wollen – aber wir sind mit Abstand die Anständigsten. Weil die Kasse erst um 11 Uhr öffnet, wird vor uns gedrängelt und geschubst, als wäre der Kinobesuch das Letzte, was man tut. Den violett gefärbten Haaren in der Warteschlange nach zu urteilen ist das vielleicht tatsächlich so.

Dass zwischen renitenten Rentnern und Filmliebhabern in Manchesterhosen auch Neulinge in den roten Samtsesseln sitzen, merkst du nur daran, dass immer noch jemand über den «Eimal Lunchkino, bitte»-Vorspann mit der alten Dame lacht. Die nächsten 88 Minuten verfolgen wir einen brillant trockenen Stanton bei seinen Dehnübungen, beim Kiffen mit der Kellnerin und beim Sinnieren über eine Schildkröte namens Roosevelt. Popcorn wird keines gekaut, dafür müssen wir knisterndes Sandwichpapier tolerieren und unsere Nachbarn, die in jeder zweiten Szene ihre Freundin Fränzi wiedererkennen.

Zwei Stunden später sind wir auf dem Weg zurück ins Büro. Wir werden bald wiederkommen: Zur Vorstellung von Call Me By Your Name, einem Oscar-Anwärter, dessen 22-jähriger Hauptdarsteller sich prominent von Woody Allen distanzierte. Im März wirst du die Filmkritik bestimmt im Feuilleton lesen können. Oder du schaust dir den Streifen in deiner nächsten Mittagspause einfach selber an. Im Lunchkino läuft er ab morgen.

ARTHOUSE LE PARIS, Gottfried-Keller Strasse 7, 8001 Zürich
Lunchkino ab 19 Franken. Mit ZKB Karte oder Carte Blanche zum halben Preis.

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